Grid‑forming Wechselrichter: Wie sie das Stromnetz stabilisieren



Netzbildende Technologien gewinnen an Bedeutung, weil immer mehr Solar‑ und Windanlagen ans Netz kommen. Grid‑forming Wechselrichter können eigenständig Spannung und Frequenz halten und damit Stabilität liefern, auch wenn klassische Kraftwerke nicht mehr im Takt arbeiten. Dieser Text ordnet die Technik ein, zeigt praktische Einsatzfelder und nennt Chancen sowie Grenzen für Verteilnetze und Großkraftwerke.

Einleitung

Der Strommix in Europa verändert sich: Photovoltaik‑Dachanlagen, große Solarparks und Windkraft liefern einen wachsenden Anteil der Energie. Das hat Vorteile, bringt aber ein praktisches Problem: Konventionelle Großkraftwerke liefern physikalische Trägheit und damit Stabilität für Spannung und Frequenz. Wenn diese Trägheit fehlt, reagiert das System empfindlicher auf Störungen. Grid‑forming Wechselrichter sind eine Technik, die genau an dieser Stelle greift. Sie erzeugen die Referenz für Spannung und Frequenz selbst, statt nur einer vorhandenen Netzspannung hinterherzulaufen. Das ist relevant, weil Verteilnetze und Verknüpfungspunkte zu Übertragungsnetzen immer häufiger Energie liefern, die nicht aus Drehmaschinen stammt.

Was sind grid-forming Wechselrichter?

Ein grid‑forming Wechselrichter ist ein Gerät, das die elektrische Spannung und die Netzfrequenz aktiv bildet. Anders als klassische, netzfolgende Wechselrichter, die ihre Ausgangsspannung an einer bestehenden Netzreferenz ausrichten, stellt ein grid‑forming Gerät diese Referenz selbst bereit. Technisch emuliert es Eigenschaften einer Synchrongenerator‑Maschine: Trägheit, Kurzschlussverhalten und die Fähigkeit, Abweichungen der Frequenz zu dämpfen. Kurz gesagt: Er übernimmt Aufgaben, die früher Kraftwerke erfüllt haben.

Netzbildende Inverter können das Netz auch dann stabil halten, wenn nur noch wenige oder keine konventionellen Kraftwerke online sind.

Für Laien lässt sich das an einem Vergleich erklären: Ein netzfolgender Wechselrichter ist wie ein Musikinstrument, das zum Takt eines Dirigenten spielt. Ein grid‑forming Wechselrichter ist wie ein Dirigent, der den Takt vorgibt. Das bedeutet in der Praxis, dass mehrere solcher Wechselrichter in einem Bereich koordiniert arbeiten müssen, damit Spannung, Phase und Frequenz stabil bleiben.

Eine kurze Tabelle fasst zentrale Unterschiede zusammen:

Merkmal Netzfolgend Grid‑forming
Spannungsreferenz Vorhandenes Netz Eigenständig
Reaktion auf Frequenzabweichung Begrenzt, folgt Schnell, bildet Trägheit
Typische Anwendung PV‑Dachanlagen, kleine Anlagen Microgrids, Batteriespeicher, starke EE‑Anteile

Wie sie im Alltag und in Netzen zum Einsatz kommen

Grid‑forming Wechselrichter finden sich heute vor allem in zwei Bereichen: in Batteriespeichern (Stationärspeicher) und in Photovoltaik‑Anlagen, die in Netzen mit hohem Anteil erneuerbarer Erzeugung arbeiten. Ein typisches Einsatzszenario ist ein Verteilnetz mit vielen Solar‑Dachanlagen und einem großen Batteriespeicher. Schaltet ein Störfall konventionelle Erzeugung kurzfristig aus, kann der Speicher mit grid‑forming‑Fähigkeit die Netzqualität halten und so lokale Blackouts verhindern.

In Deutschland haben Forschungseinrichtungen und Netzbetreiber jüngst Tests mit verschiedenen Herstellern durchgeführt, um Verhalten und Interaktion zu prüfen. Solche Tests zeigen, dass die Geräte in Routinefällen gut arbeiten, in komplexen Störszenarien aber unterschiedlich reagieren. Darauf basierend entstehen Testverfahren und Anforderungen, die künftig eine Zertifizierung erleichtern sollen.

Ein praktisches Beispiel: Ein Mittelspannungsnetz mit 50 % Einspeisung aus dezentraler PV kann mit einem oder mehreren grid‑forming Speichern so betrieben werden, dass Frequenzsprünge abgefedert werden und Schutzgeräte seltener ungewollt auslösen. Das macht den Betrieb für Netzbetreiber planbarer und kann langfristig Sanierungskosten senken, weil Netzverstärkung seltener erforderlich wird.

Chancen und Risiken für Stromnetze

Die Chancen sind handfest: Grid‑forming Geräte ermöglichen mehr erneuerbare Einspeisung ohne dass sofort neue Großkraftwerke nötig sind. Sie können Blackstart‑Fähigkeiten liefern (also das Netz nach einem Ausfall wieder hochfahren), Frequenzabweichungen dämpfen und die Systemstabilität in Regionen mit hohem EE‑Anteil erhöhen. Für Betreiber von Speichern und Projekten eröffnen sich neue Erlösquellen, wenn Märkte für „synthetische Trägheit“ oder Netzstützleistungen geschaffen werden.

Gleichzeitig gibt es Risiken und offene Fragen. Geräte unterschiedlicher Hersteller können bei komplexen Störungen unerwartet interagieren. Schutzsysteme in Verteilnetzen sind oft auf das Verhalten traditioneller Generatoren ausgelegt; sie müssen angepasst werden. Außerdem braucht es Prüfverfahren, die reale Bedingungen ausreichend abbilden, damit ein zertifiziertes Produkt auch im Feld zuverlässig funktioniert.

Die Forschung und erste Pilotprojekte zeigen: Technisch ist viel möglich, aber die Netzintegration verlangt neue Regularien, Testverfahren und Betriebskonzepte. Ohne klare Standards bleibt ein Restrisiko, das Netzbetreiber und Anlagenbetreiber berücksichtigen müssen.

Wie sich Netzbetrieb und Markt verändern könnten

In den nächsten Jahren sind zwei Entwicklungen zu erwarten: Erstens werden Test‑ und Zertifizierungsverfahren etabliert, sodass Netzbetreiber klar beurteilen können, welche Geräte netzdienlich sind. Zweitens entstehen Marktmechanismen, die Leistungen wie Frequenzstütze oder synthetische Trägheit vergüten. Damit könnten Batteriespeicher und PV‑Anlagen wirtschaftlich direkte Beiträge zur Netzstabilität leisten.

Für Haushalte und Unternehmen bedeutet das: Anlagenbetreiber, die in grid‑forming‑fähige Technik investieren, könnten zusätzlichen Nutzen erzielen — nicht nur durch eigene Nutzung, sondern durch Netzservices. Netzbetreiber wiederum bekommen Werkzeuge, um Ausbau und Betrieb effizienter zu gestalten. Gesetzgeber und Standardisierer stehen in der Pflicht, Übergangsregeln zu schaffen und Schnittstellen zu definieren, damit der breite Einsatz ohne Sicherheits‑ und Kompatibilitätsrisiken möglich wird.

Langfristig ist vorstellbar, dass ganze Regionen mit sehr hohem Anteil erneuerbarer Erzeugung primär von netzbildenden Wechselrichtern gesteuert werden. Das erfordert, dass Geräte verschiedener Hersteller harmonisch zusammenarbeiten; hier sind Interoperabilitätstests und gemeinsame Betriebsregeln zentral.

Fazit

Grid‑forming Wechselrichter sind eine Schlüsseltechnik für die nächste Phase der Energiewende. Sie ersetzen nicht einfach Kraftwerke, sondern übernehmen ausgewählte physikalische Aufgaben, die für die Netzstabilität wichtig sind. Die Technologie ist bereits im Feld, wird derzeit aber intensiver geprüft und standardisiert. Für Netzbetreiber, Hersteller und Anlagenbetreiber eröffnen sich Chancen, zugleich bleiben Fragen zur Interaktion, Zertifizierung und Marktlogik offen. Wer jetzt Projekte plant, sollte technische Anforderungen und Prüfzyklen beachten, um späteren Anpassungsbedarf zu minimieren.


Ich freue mich über Ihre Meinung zu dem Thema — gerne diskutieren und teilen.

Artisan Baumeister

Mentor, Creator und Blogger aus Leidenschaft.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert