Solarstrom ohne Förderung? Warum der mögliche Wegfall der Einspeisevergütung das nächste Kapitel der Energiewende einläutet

Solarstrom ohne Förderung? Warum der mögliche Wegfall der Einspeisevergütung das nächste Kapitel der Energiewende einläutet

Die Nachricht schlug in der deutschen Solarbranche ein wie ein Blitz: Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Katherina Reiche stellt die seit 20 Jahren etablierte Förderung für kleine Photovoltaikanlagen infrage. Sie erklärte gegenüber der Augsburger Allgemeinen, neue kleine Solaranlagen seien inzwischen profitabel und „brauchten keine Einspeisevergütung mehr“ . Ihre Einschätzung wird Teil des „Reality Checks“, den das Bundeswirtschaftsministerium derzeit für die Energiewende erstellt und der laut Ministerium „Kosten und Sicherheit in den Mittelpunkt stellen“ soll . Das Vorhaben stößt in der Branche und bei der Opposition auf scharfe Kritik und löst eine kontroverse Debatte über die Zukunft der Solarenergie in Deutschland aus. In diesem Artikel beleuchten wir die Hintergründe, Argumente, Zahlen und Alternativen.

Was bedeutet der Vorschlag konkret?

  • Abschaffung der Förderung für neue Kleinanlagen: Bisher garantiert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für kleine Anlagen auf Hausdächern einen festen Vergütungssatz je eingespeister Kilowattstunde für 20 Jahre. Für Anlagen bis 10 kW liegt der aktuelle Tarif für Überschuss-Einspeisung bei 7,86 ct/kWh, und wer den gesamten Strom einspeist, erhält 12,47 ct/kWh . Die Tarife sinken halbjährlich um 1 % .
  • Reiche: „Kleine PV-Anlagen sind profitabel“: Die Ministerin argumentiert, dass sinkende Modulpreise und steigende Stromkosten dazu führen, dass sich Anlagen auch ohne Förderung rechnen. In vielen Fällen liege die Stromgestehung bei Dachanlagen deutlich unter 10 ct/kWh , während Haushaltsstrom 30 ct/kWh und mehr koste.
  • Keine Änderung bei Bestandsanlagen: Laufende Vergütungen würden weitergezahlt. Eine Abschaffung beträfe nur neue Installationen .

Die Reaktionen: Erfolgsgeschichte in Gefahr

Solarbranche warnt vor Einbruch

Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) sieht in Reiches Vorstoß einen schweren Rückschlag. Laut einer Branchenumfrage würden nur 4 von 10 Hausbesitzerinnen und -besitzer eine Solaranlage ohne Einspeisevergütung installieren . Der Verband betont, dass verlässliche Investitionsbedingungen in allen Marktsegmenten nötig seien und fordert stattdessen den Ausbau von Netzen, Speichern und Anreizen für Eigenverbrauch . Auch die Grünen warnen davor, den Ausbau zu bremsen, und verlangen in einem Positionspapier einen „Turbo-Boost“ für die Energiewende .

Energiebranche fordert weiteren Ausbau

Die Energieindustrie und Branchenverband BDEW verweisen darauf, dass Deutschland im vergangenen Jahr trotz Rekordzubau von 20 GW erneuerbarer Leistung (17 GW Photovoltaik, 3,3 GW Wind) noch deutlich hinter den Ausbauzielen für 2030 liege . Um die Zielmarke von 215 GW Solarleistung bis 2030 zu erreichen, seien jährlich 19 GW neue Solar- und 12 GW Windkapazität notwendig . BDEW-Chefin Kerstin Andreae erinnert: „Die Expansion der erneuerbaren Energien ist eine Erfolgsgeschichte – wir dürfen jetzt nicht nachlassen, weil wir in Zukunft mehr erneuerbare Energie benötigen“ .

Verbraucherorganisationen kritisieren Ungleichheit

Ramona Pop, Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, moniert, es sei „unverständlich, dass Milliarden in neue Gaskraftwerke fließen sollen, während man kleine PV-Anlagen schwächt“ . Sie befürchtet, dass vor allem Eigenheimbesitzer ohne Batteriespeicher und mit hohem Eigenverbrauchsanteil benachteiligt würden.

Wie profitabel ist Solarstrom heute wirklich?

Dass Reiches These vom wirtschaftlichen Betrieb ohne Förderung nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, zeigt eine aktuelle Analyse des Fraunhofer ISE. Demnach erzeugen große Solarparks mit Batteriespeicher Strom für 6,0 bis 10,8 ct/kWh – teilweise günstiger als Gas- oder Kohlestrom. Onshore-Windanlagen liegen mit 4,1 bis 9,2 ct/kWh sogar noch niedriger . Die Studie prognostiziert, dass neue Windturbinen ab 2045 für 3,7 bis 7,9 ct/kWh produzieren könnten .

Für private Dachanlagen gibt es jedoch Unterschiede:

  • Systemkosten: Laut BSW-Solar kosten 10-kW-Anlagen inklusive Installation inzwischen rund € 12.000–14.000, also etwa € 1.200–1.400/kW. Dank Massenproduktion sind die Preise seit 2010 um rund 75 % gefallen.
  • Eigenverbrauch: Je höher der Eigenverbrauch, desto schneller amortisiert sich die Anlage. Mit Batteriespeicher können Haushalte bis zu 70 % des Solarstroms selbst nutzen und so Strombezugskosten sparen. Ohne Förderung verlängert sich die Amortisationszeit deutlich, wenn wenig eigener Verbrauch vorhanden ist.
  • Strompreis: Im Sommer 2025 liegt der durchschnittliche Haushaltsstrompreis in Deutschland zwischen 30 und 35 ct/kWh. Jede selbst produzierte und verbrauchte Kilowattstunde ersetzt also teuren Netzstrom.

Der Wegfall der Einspeisevergütung wirkt sich vor allem auf Haushalte aus, die den Überschussstrom vollständig ins Netz einspeisen. Mit Batteriespeichern lässt sich der Eigenverbrauch erhöhen, doch solche Speicher kosten derzeit noch 800–1.000 €/kWh Kapazität. Viele kleinere Haushalte schrecken daher vor der zusätzlichen Investition zurück.

Warum plant das Ministerium den „Reality Check“?

Reiche will mit dem angekündigten Monitoring-Bericht die zukünftige Entwicklung der Energieversorgung „nach Kosten, Flexibilität und Netzsicherheit“ bewerten . Kritiker fürchten jedoch, dass der Bericht vor allem eine Drosselung des Ausbaus rechtfertigen soll. Folgende Punkte stehen im Fokus:

  1. Netzengpässe: Viele Solar- und Windanlagen speisen zu ähnlichen Zeiten ein, wodurch regionale Stromnetze überlastet werden. Deshalb fordert das Ministerium, dass neue Anlagen stärker zur Finanzierung des Netzausbaus beitragen . Solar- und Windparks sollen mit Speichern ausgestattet und systemdienlicher betrieben werden.
  2. Kosten für Haushalte: Steigende EEG-Umlagen und Netzentgelte belasten Verbraucher. Durch Marktintegration und Ausschreibungen möchte das Ministerium die Förderkosten senken. Die Förderung für kleine Anlagen gilt als vergleichsweise teuer, weil viele Betreiber nur kleine Mengen einspeisen.
  3. Versorgungssicherheit: Um Dunkelflauten zu überbrücken, plant die neue Regierung den Bau von 20 GW flexibler Gaskraftwerke, wie BDEW berichtet. Kritiker bemängeln, dass diese Investitionen den Ausbau der erneuerbaren Energien entwerten und fossile Abhängigkeiten verstärken .

Argumente pro und contra Förderstopp

Pro: Marktintegration und Kostensenkung

  • Sinkende Preise: Solarmodule sind heute so günstig wie nie zuvor; Dachanlagen können ohne Förderung erzeugen, die teurer als die Börsenstrompreise sind.
  • Wettbewerb: Befürworter wie Energieökonom Lion Hirth argumentieren, dass öffentliche Gelder dort eingesetzt werden sollten, wo der gesellschaftliche Nutzen am größten ist . Großanlagen, Netzausbau oder Speicher böten mehr Klimaschutz pro Euro als die Förderung jedes Kilowattdachs.
  • Smart-Meter-Pflicht: Reiche fordert, dass kleine Anlagen künftig Speicher nutzen und flexibel einspeisen . Ohne Förderung könnten Betreiber über variable Stromtarife in den Markt integriert werden und Preisrisiken selbst tragen.

Contra: Gefahr für die Energiewende

  • Investitionshemmnis für Privathaushalte: Ohne Einspeisevergütung sinkt der Anreiz für Hausbesitzer, ihre Dächer zu nutzen. Der BSW-Solar erwartet deutliche Einbrüche beim Ausbau . Das Ziel von 215 GW Solarleistung bis 2030 wäre kaum erreichbar .
  • Ungleichheit: Während industrielle Großprojekte weiter Förderung erhalten, werden private Haushalte benachteiligt . Eine „Energiewende von unten“ – Millionen kleiner Betreiber – könnte abgewürgt werden.
  • Versorgungssicherheit: Jede Kilowattstunde dezentraler Solarstrom entlastet Netze und reduziert Gasimporte. Weniger Ausbau bedeutet mehr Bedarf an fossilen Backup-Kraftwerken.

Was bedeutet das für Hausbesitzerinnen und -besitzer?

Auch wenn die Einspeisevergütung für neue Anlagen möglicherweise entfällt, bleiben Photovoltaikanlagen attraktiv – vorausgesetzt, Eigenheimbesitzer optimieren den Eigenverbrauch. Folgende Maßnahmen helfen:

  1. Batteriespeicher: Durch Speicher kann der tagsüber erzeugte Strom abends genutzt werden. Das reduziert den Netzbezug und verkürzt die Amortisationszeit. Speicherpreise sinken kontinuierlich; in den nächsten Jahren werden sie voraussichtlich deutlich günstiger.
  2. Elektrische Wärmepumpen und E-Mobilität: Kopplung von Solarstrom mit Wärmepumpen oder Ladestationen erhöht den Eigenverbrauch. Mit dynamischen Stromtarifen können Anlagenbesitzer den Überschuss auch günstig speichern oder gezielt einspeisen.
  3. Energie-Sharing: Anstatt Strom zu Einspeisetarifen zu verkaufen, können Nachbarn Strom direkt untereinander teilen oder über lokale Energiegemeinschaften vermarkten.

Alternative Ansätze: Gemeinschaftsanlagen und Mieterstrom

  • Mieterstrommodelle erlauben es Menschen ohne eigenes Dach, sich an PV-Anlagen zu beteiligen und den Strom vor Ort zu nutzen. Die EEG-Novelle 2023 hat diese Modelle vereinfacht; weitere Verbesserungen könnten folgen.
  • Balkon-PV (Plug-in-Module): Kleine Steckersolargeräte bis 800 W sind in Deutschland sehr beliebt. Sie benötigen keine Einspeisevergütung, senken den Stromverbrauch sofort und sind für Mieter*innen geeignet. 2024 wurden knapp 1 % der PV-Kapazität auf Balkonen installiert .
  • Energie-Genossenschaften: Bürgerinnen und Bürger können gemeinsam größere Solarparks oder Windanlagen bauen und Anteilseigner werden. Diese Projekte profitieren von Ausschreibungen und können kosteneffizient Strom erzeugen.

Blick über den Tellerrand: Was passiert international?

Die Diskussion um Förderungen ist kein deutsches Phänomen. In vielen Ländern sinken Einspeisetarife, weil Erneuerbare längst die günstigsten Technologien sind. Strom aus PV und Wind war in mehreren Auktionen bereits unter 5 ct/kWh zu haben. In Deutschland zeigen Fraunhofer-Berechnungen, dass erneuerbare Großanlagen mit Speicher günstiger sind als fossile Kraftwerke .

Andererseits setzen Staaten wie Kanada auf massive Investitionen in Flüssigerdgas (LNG) und Wasserstoff, um Europa zu beliefern. Premierminister Mark Carney kündigte in Berlin Investitionen von 500 Mrd. CAD in Infrastruktur und kritische Rohstoffe an, um Deutschland mit Gas und Wasserstoff zu versorgen . Solche geopolitischen Entwicklungen verdeutlichen, dass Europa trotz ehrgeiziger Klimaziele auf internationale Energiepartnerschaften angewiesen bleibt.

Fazit: Chance oder Risiko?

Der Vorschlag, die Einspeisevergütung für kleine Solaranlagen abzuschaffen, eröffnet eine Grundsatzdebatte über die Ausrichtung der Energiewende. Einerseits ist es richtig, die Förderung stetig zu überprüfen und dort zu kürzen, wo Technologien wettbewerbsfähig geworden sind. Sinkende Modulpreise und günstige Speicher zeigen, dass Solarenergie langfristig auch ohne Zuschüsse bestehen kann. Andererseits war der Erfolg der deutschen Energiewende bislang gerade der dezentralen Beteiligung von Millionen Bürger*innen zu verdanken . Dieser Schwung darf nicht gebremst werden, wenn Deutschland die Ziele von 80 % erneuerbarem Strom bis 2030 und Klimaneutralität 2045 erreichen will.

Praktische Empfehlungen für Leser*innen

  1. Anlage planen: Wer über eine PV-Anlage nachdenkt, sollte nicht abwarten. Noch gelten Einspeisetarife und attraktive Steuerbedingungen. Lassen Sie sich Angebote von Fachbetrieben erstellen und achten Sie auf hochwertige Komponenten.
  2. Eigenverbrauch maximieren: Investieren Sie, wenn möglich, in einen Batteriespeicher und koppeln Sie Ihre Anlage mit Wärmepumpe oder Elektroauto. So sind Sie unabhängiger von Förderungen und steigenden Strompreisen.
  3. Politik beobachten: Informieren Sie sich über die Ergebnisse des „Reality Checks“ und bringen Sie sich in lokale Energieinitiativen ein. Nur eine starke Zivilgesellschaft kann sicherstellen, dass die Energiewende sozial gerecht bleibt.
  4. Netzwerk teilen: Unterstützen Sie Energie-Genossenschaften oder Mieterstromprojekte, wenn Sie kein eigenes Dach besitzen. So profitieren auch Mieter und Wohnungseigentümer von erneuerbarer Energie.
Kernbotschaft: Solarenergie bleibt das Rückgrat der Energiewende – der Weg dorthin muss fair, dezentral und zukunftsfähig gestaltet werden.

Wolfgang Walk

Ingenieur, Programmierer und Schriftsteller aus Leidenschaft. Geboren in den goldenen 80ern, viel erlebt und immer mit den Aufgaben gewachsen.

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