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Erster Superkondensator‑STATCOM in Deutschland: Was das Stromnetz gewinnt


Der Einsatz eines Superkondensator STATCOM markiert einen neuen technischen Ansatz, um Spannung und Frequenz im Netz schnell zu stabilisieren. Das Pilotprojekt in Mehrum kombiniert Superkondensatoren mit Leistungselektronik und liefert in Millisekunden aktive und reaktive Leistung für das Übertragungsnetz. Für Betreiber und Planer bedeutet das: weniger Risiko bei hoher Einspeisung erneuerbarer Energien und eine zusätzliche, CO₂‑freie Option zur Sicherstellung der Netzstabilität.

Einleitung

Das deutsche Übertragungsnetz steht vor zwei technischen Herausforderungen: Der Anteil fluktuierender erneuerbarer Energien steigt, gleichzeitig sinkt die Anzahl großer rotierender Kraftwerke, die natürliche Trägheit und Spannungshaltung liefern. Die Folge sind schnellere Frequenzschwankungen und eine größere Belastung für Netzregelungen. Eine neue Anlage in Mehrum nutzt Superkondensatoren, um genau dort einzuspringen, wo kurzzeitige, sehr schnelle Leistung nötig ist. Das hat Auswirkungen auf Netzplanung, Betriebssicherheit und die Frage, wie Netze künftig kosteneffizient stabil gehalten werden können.

Was ist ein Superkondensator STATCOM?

Ein Superkondensator STATCOM kombiniert zwei Dinge: sehr schnelle Energiespeicher (Superkondensatoren) und leistungselektronische Umrichter, die gezielt Blind- und Wirkleistung ins Netz einspeisen können. Kurz: Die Anlage kann Spannung (durch reaktive Leistung) und Frequenz (durch sehr schnelle aktive Leistung) stabilisieren. Technisch arbeitet sie mit Modular Multilevel Convertern und speziellen Steuerungen, die in Millisekunden reagieren.

Die Stärke liegt in der Geschwindigkeit: Reaktion in Millisekunden, wo andere Systeme Sekunden benötigen.

Die in Mehrum installierte Anlage hat technische Kennwerte, die verdeutlichen, wozu sie fähig ist. In einfachen Worten: sie ist kompakt, liefert kurzfristig viel Leistung und nimmt keinen langfristigen Energiespeicher-Ersatz für Pumpspeicher oder Batterien vorweg.

Wenn Zahlen helfen, einordnen zu können: Die Anlage ist mit rund 300 MVA installiert, kann etwa ±200 MW aktive Leistung sowie ±300 MVar reaktive Leistung bereitstellen und verfügt über ungefähr 400 MJ an Superkondensator‑Energie. Diese Werte ermöglichen sehr schnelle Eingriffe zur Frequenz‑ und Spannungsstützung, nicht jedoch die längerfristige Energieversorgung über Stunden.

Die Tabelle fasst die wichtigsten Merkmale zusammen.

Merkmal Beschreibung Wert
Installierte Leistung Elektrische Anschlusskapazität 300 MVA
Kurzeitige Energiemenge Verfügbar für Millisekunden bis Minuten 400 MJ
Fähigkeit Aktive und reaktive Leistung sehr schnell bereitstellen ±200 MW / ±300 MVar

Wie die Anlage im Alltag wirkt

Im Netzbetrieb sieht man von der Anlage nur deren Wirkung: Spannungseinbrüche werden ausgeglichen, und plötzliche Lastwechsel oder starke Schwankungen durch Wind- und Solarparks schlagen nicht so stark auf die Netzfrequenz durch. Für Haushalte und Unternehmen heißt das, dass Schutzrelais seltener auslösen und empfindliche Geräte weniger häufig gestört werden.

Praxisbeispiele: Wenn in Norddeutschland viele Windräder gleichzeitig stark einspeisen und gleichzeitig ein großer Verbraucher einspringt, kann die Folge kurzfristig eine Frequenzverschiebung sein. Der Superkondensator STATCOM kann in Millisekunden Leistung aufnehmen oder abgeben, um die Frequenz wieder in Richtung 50 Hz zu bringen. Das ist eine andere Funktion als die eines Batteriespeichers, der Energie über Minuten bis Stunden liefern kann; Superkondensatoren sind für sehr schnelle, kurzzeitige Eingriffe gedacht.

Für Betreiber von Übertragungsleitungen ist die Anlage außerdem ein flexibles Instrument: Sie kann gezielt an Knotenpunkten installiert werden, etwa dort, wo Übertragungsengpässe auftreten. In Mehrum steht die Anlage an einer strategischen Verbindung für Nord‑Süd‑Übertragung, was hilft, erneuerbare Einspeisung aus dem Norden stabil nach Süden zu transportieren.

Ein weiterer, oft übersehener Effekt betrifft die Systemplanung: Je mehr schnelle Stabilisierungsoptionen zur Verfügung stehen, desto weniger Reservekapazitäten müssen konventionelle Kraftwerke bereitstellen. Das kann in der langfristigen Kostenbilanz sparen und gleichzeitig den CO₂‑Ausstoß verringern, weil fossile Spitzenlieferanten seltener aufgefahren werden.

Chancen und Risiken für das Stromnetz

Die Chancen sind klar: Schnell reagierende Systeme wie ein Superkondensator STATCOM können Netzstörungen verhindern, die durch das Zusammenspiel vieler dezentraler Erzeuger entstehen. Das erhöht die Versorgungssicherheit und erleichtert die Integration größerer Mengen erneuerbarer Energie. Die Technologie ist zudem emissionsfrei im Betrieb und benötigt weniger Flächen als manche konventionellen Anlagen.

Bei den Risiken geht es weniger um die Funktionalität als um Rahmenbedingungen. Erstens: Kosten und Wirtschaftlichkeit über den Lebenszyklus sind entscheidend. Superkondensatoren haben einen anderen Kostenaufbau als Batterien oder synchrone Kondensatoren. Zweitens: Regulatorische Anerkennung. Damit Betreiber und Netzbetreiber diese Dienste nutzen, müssen Märkte und Vergütungsmechanismen künstliche Trägheit und sehr schnelle Regelenergie anerkennen und vergüten.

Drittens: Betriebsfragen. Die Anlage ist komplex und benötigt spezifische Betriebsführung und Wartung. Obwohl Superkondensatoren eine hohe Zyklenfestigkeit haben, ist die Integration in bestehende Netzleitsysteme kein Selbstläufer und erfordert Tests und Anpassungen. Viertens: Systemische Risiken. Wenn sich viele neue Leistungselektronik‑Systeme ähnlich verhalten, sind koordinierte Steuerungsstrategien nötig, damit diese Systeme nicht in ungewollten Wechselwirkungen agieren.

Insgesamt: Die Technik reduziert konkrete Ausfallrisiken, aber sie schafft neue Anforderungen an Marktdesign, Netzplanung und Betriebspraxis. Die Entscheidungsträger sollten daher technische Pilotdaten, Kostenprognosen und regulatorische Anpassungen zusammen betrachten.

Wie es weitergehen könnte

Die Inbetriebnahme in Mehrum ist ein praktischer Proof‑of‑Concept. Netzbetreiber nennen eine grobe Größenordnung: Für die deutsche Übertragungsnetzstabilität könnten in Zukunft etwa 30 vergleichbare Systeme sinnvoll sein, verteilt an strategischen Knoten. Das würde die Netzinfrastruktur modular ergänzen, statt ausschließlich auf Kraftwerksleistung zu vertrauen.

Technisch sind Weiterentwicklungen wahrscheinlich: Größere Energiemengen, verbesserte Kühlung und noch schnellere Leistungselektronik können die Rolle der Anlagen erweitern. Gleichzeitig könnte die Kombination mit Batteriespeichern sinnvoll werden, sodass Superkondensatoren die unmittelbare Reaktion übernehmen und Batterien längere Lastspitzen abdecken.

Regulatorisch wäre ein klares Signal hilfreich: Anerkennung der Leistungen in Auktionen und Regelenergiemärkten, eigene Produktkategorien für sehr schnelle Regelenergie und Förderinstrumente für Pilotlinien. Für Kommunen und Standortplaner bedeutet das: Alte industriell genutzte Flächen – wie ehemalige Kraftwerksstandorte – sind oft geeignet und reduzieren neue Flächenbedarfe.

International kann die Anlage als Referenz dienen. Länder mit hohem Anteil fluktuierender Erzeugung beobachten solche Projekte, weil sie eine Alternative zur Wiederinbetriebnahme synchroner Kraftwerke darstellen. Die praktische Frage bleibt: Wie viele Systeme zahlt das Netz, und wie werden Betriebskosten und Investitionen verteilt?

Fazit

Der Einsatz von Superkondensatoren in einem STATCOM‑System ist keine Pauschallösung, aber ein wichtiges technisches Werkzeug. Er adressiert eine konkrete Lücke: die sehr schnelle Bereitstellung von Leistung für Frequenz und Spannung. In Mehrum zeigt das Pilotprojekt, dass solche Systeme praktisch arbeiten und in Netzen mit hohem Anteil erneuerbarer Energien einen messbaren Beitrag zur Stabilität leisten können. Entscheidend für den breiten Einsatz sind jedoch wirtschaftliche Rahmenbedingungen, klare Marktregeln und die Integration in bestehende Betriebsabläufe. In der Abwägung zwischen Kosten und Netzsicherheit können Superkondensator‑STATCOMs künftig eine kosteneffiziente Ergänzung zu Batterien und synchrone Infrastruktur sein.


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