Weltraum‑Solarstrom: Wie Strom aus dem All funktionieren könnte
Weltraum‑Solarstrom ist die Idee, Sonnenenergie in der Erdumlaufbahn zu gewinnen und per Mikrowellen oder Laser zur Erde zu übertragen. Dieser Text beschreibt, welche technischen Bausteine dafür zusammenkommen, welche Experimente und Studien den aktuellen Stand zeigen und welche Hürden noch offen sind. Leserinnen und Leser erhalten eine klare Einordnung zu Kosten, Zeitplan‑Schätzungen und den wichtigsten Risiken — und erfahren, warum Raumfahrtagenturen und Forschungseinrichtungen das Thema heute wieder verstärkt prüfen.
Einleitung
Viele Stromnetze stehen unter Druck: Mehr Solar‑ und Windkraft verändern Erzeugung und Bedarf, Speicherkapazitäten sind teuer, und die Nachfrage nach verlässlicher, CO₂‑armer Leistung steigt. Die Vorstellung, rund um die Uhr Sonnenenergie vom Weltraum zu bekommen, wirkt deshalb attraktiv. Im Raumfahrt‑ und Energiebereich wächst seit einigen Jahren wieder das Interesse an solchen Systemen, nicht zuletzt weil Startkosten sinken und neue Konzepte für modulare Satelliten und In‑Space‑Assembly erprobt werden.
Gleichzeitig sind die technischen und wirtschaftlichen Hürden groß: Es geht um große Flächen aus Solarmodulen, zuverlässige Übertragungstechnik und die Frage, ob sich der Aufwand gegenüber irdischen Erneuerbaren rechnet. Dieser Artikel beschreibt sachlich, wie Weltraum‑Solarstrom funktionieren würde, welche Nachweise schon erbracht sind und welche Schritte nötig wären, damit konkrete Projekte für Europa und andere Regionen relevant werden könnten.
Weltraum‑Solarstrom: Grundlagen
Im Kern besteht ein Weltraum‑Solarstrom‑System aus drei Elementen: einer großen Fläche aus Solarzellen im All, einer Technik zur Bündelung und Übertragung der Energie (meist Mikrowellen oder Laser) und einer Empfangsanlage auf der Erde, genannt Rectenna, die die Strahlung wieder in Strom umwandelt.
Solarzellen im Weltraum liefern mehr Energie als auf der Erde, weil es dort keine Nacht und kein Wetter gibt. Ein Satellit in geostationärer Umlaufbahn könnte theoretisch rund um die Uhr Leistung liefern. Die Übertragung erfolgt in einem gerichteten Strahl; Leistungsverluste entstehen durch die Umwandlungsstufen (PV→RF/laser→Empfang→Netzanschluss). Die Kernfragen sind Skalierbarkeit, Effizienz und Sicherheit der Strahlung.
Raumfahrtagenturen sehen Weltraum‑Solarstrom vor allem als langfristige Ergänzung zu terrestrischen Erneuerbaren, nicht als kurzfristigen Ersatz.
Vier Kennzahlen geben das technische Bild knapp wieder:
| Merkmal | Beschreibung | Wert (Beispiel) |
|---|---|---|
| Leistung pro Satellit | konzeptionelle Größenordnung für Großsysteme | ~1,4 GW (ESA‑Studien, Konzeptwert) |
| LCOE FOAK | Levelized Cost of Energy beim Erstsystem | ~150 €/MWh (Schätzung aus 2022‑Analysen) |
| Rectenna‑Fläche | Fläche für Empfang und Umwandlung auf der Erde | ~50 km² pro GW (Modellannahme) |
Ein Wort zur Datenlage: Kosten‑Schätzungen stammen aus Studien von 2022 und sind stark abhängig von Annahmen zu Startkosten und Serienproduktion. Solche Untersuchungen liefern nützliche Orientierung, sind aber teilweise älter als zwei Jahre und müssen regelmäßig aktualisiert werden.
Technik und erste Demonstrationen
Technisch sind heute mehrere Teilbereiche klar identifiziert: effiziente Photovoltaik im All, gerichtete Energieübertragung und modulare Satellitenbauweisen. Agenturen wie ESA und Forschungsgruppen veröffentlichen Roadmaps: Ground‑Demonstratoren für die Übertragungstechnik, Versuche mit kleinen Satelliten und Entwicklungen für In‑Space‑Assembly (Zusammenbau im Orbit).
In Japan haben Forschungsgruppen und Unternehmen in den letzten Jahren kW‑klassen Versuche zur drahtlosen Energieübertragung durchgeführt. Dort gelang es, über Dutzende Meter mehrere hundert Watt zu übertragen und Empfangsantenne‑Module mit rund 60–65 % Effizienz zu testen. Diese Messungen sind wichtig, weil sie zeigen, dass die Kernidee der gerichteten Übertragung in kleinerem Maßstab funktioniert.
Die ESA hat für 2022 mehrere Studien und eine Vorbereitungsinitiative (SOLARIS) aufgelegt. Diese Arbeiten modellieren komplette Lieferketten, definieren Sicherheitsgrenzen für Strahlstärken und schätzen Entwicklungskosten. Bei günstiger Entwicklung der Startkosten könnten Nachlauf‑Systeme (NOAK) deutlich günstigere Strompreise erreichen als die Erstsysteme.
Wichtig ist: Bisher gibt es keine wirtschaftlich betriebene Stromversorgung aus dem All. Demonstratoren auf der Erde und im niedrigen Erdorbit sind die nächsten Schritte, die vor einem großflächigen Einsatz geprüft werden müssen.
Chancen und Risiken
Weltraum‑Solarstrom bietet drei klare Chancen: konstante Verfügbarkeit, geringe Landnutzungsfläche am Empfangsort verglichen mit Boden‑PV in gleichen Energiemengen und Potenzial zur Dämpfung großer Speichersysteme in Energiesystemen mit hohem Anteil fluktuierender Quellen.
Dem stehen mehrere Risiken gegenüber. Technisch sind Langzeitzuverlässigkeit, Weltraummüll und das Management von Lebenszyklen offenkundig. Ökonomisch hängt die Wettbewerbsfähigkeit stark von zukünftigen Startkosten, Serienfertigung von Raumfahrteinheiten und von der Fähigkeit ab, große Mengen am Markt zu verkaufen. Für Sicherheit und Umwelt müssen international verbindliche Regeln für Strahlintensitäten, Frequenznutzung und Notfallprozeduren entwickelt werden.
Ein weiteres Spannungsfeld ist die Frage, ob Ressourcen, Forschungsgelder und politische Aufmerksamkeit besser in terrestrische Systeme und Speicher fließen sollten, die heute bereits wirtschaftlich sind. Studien, die Kosten und Nutzen über Jahrzehnte modellieren, sehen Weltraum‑Solarstrom in manchen Szenarien als sinnvolle Ergänzung zur Dekarbonisierung, jedoch nicht als schnelle Lösung.
Regulatorisch ist die Nutzung von Mikrowellen‑ oder Laserfrequenzen für Energieübertragung noch nicht international standardisiert; das betrifft Frequenzzuteilung, Sicherheitsgrenzen und mögliche Auswirkungen auf Luftfahrt und Natur. Solche Fragen müssen im Vorfeld geklärt werden, bevor großräumige Demonstratoren gebaut werden.
Blick nach vorn
Die aktuellen Roadmaps der Raumfahrtagenturen sehen gestaffelte Schritte vor: zuerst Boden‑ und Kleinorbit‑Demonstrationen, danach Modulfertigung und In‑Space‑Assembly, und schließlich großskalige geostationäre Anlagen, falls die Technik und die Wirtschaftlichkeit stimmen. Viele Expertinnen und Experten erwarten in günstigem Fall erste Orbital‑Demonstrationen in den späten 2020er Jahren und mögliche industrielle Skalierung ab den 2030er Jahren.
Für Europa würde das bedeuten, Forschungs‑ und Industriepartnerschaften zu stärken, Standards für Sicherheits‑ und Frequenzfragen zu erarbeiten und Paketlösungen für Start‑ und Fertigungsökosysteme aufzubauen. Parallel sind Umwelt‑ und Gesundheitsstudien nötig, die mögliche Auswirkungen niederfrequenter Strahlung, Landnutzung für Rectennas und Weltraummüll berücksichtigen.
Für Anwender ist es sinnvoll, die Entwicklung zu verfolgen und Projekte anzusprechen, die in den nächsten Jahren Messergebnisse und Wirtschaftsdaten liefern. Bei klaren Verbesserungen bei Startkosten und Modulproduktionskosten könnte Weltraum‑Solarstrom in einer langfristigen Energieplanung eine Ergänzung sein, insbesondere für Regionen mit hoher Netzstabilitätsanforderung.
Fazit
Weltraum‑Solarstrom ist technisch plausibel und hat das Potenzial, dauerhaft verfügbare, CO₂‑arme Leistung zu liefern. Aktuelle Studien und Experimente zeigen, dass die notwendigen Grundtechniken funktionieren, allerdings bislang nur im Demonstrationsmaßstab. Die Wirtschaftlichkeit hängt stark von Serienfertigung, weiter sinkenden Startkosten und klaren Regularien ab. Kurzfristig bleiben terrestrische Erneuerbare mit Speichern die kosteneffiziente Lösung; mittelfristig kann ein stufenweiser Aufbau von Demonstratoren klären, ob und wie Weltraum‑Solarstrom einen Beitrag zur europäischen Energieversorgung leisten kann.
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