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Offshore‑Wind als Netzretter: So starten Windparks nach Blackouts


Offshore‑Wind kann nach einem großflächigen Stromausfall helfen, das Netz wieder in Betrieb zu nehmen: durch Batteriespeicher, spezielle Wechselrichter und abgestimmte Abläufe. Dieses Thema berührt Netzstabilität und Versorgungssicherheit und zeigt, wie moderne Windparks zu Systemdienstleistern werden können. Der Artikel erläutert Technik, Praxisbeispiele, Chancen und Risiken und nennt den Stand der Forschung und erste Feldprojekte.

Einleitung

Ein großflächiger Blackout ist für die meisten Menschen schwer vorstellbar, die Folgen jedoch konkret: kein Licht, keine Heizung, keine Zugverbindungen. Im Hintergrund laufen komplexe Vorgänge, damit solche Ausfälle seltener werden und sich das Netz nach einem Ausfall wieder stabilisieren lässt. In Europa wächst die Zahl großer Offshore‑Windparks stetig und damit die Frage, ob diese Anlagen nicht nur Strom liefern, sondern auch beim Wiederaufbau des Netzes helfen können.

Technisch geht es um das sogenannte Blackstart‑Verfahren: ein Kraftwerk oder eine übergeordnete Anlage muss Teile des Netzes ohne fremde Spannung wieder hochfahren. Traditionell übernahmen dies synchronisierte Kraftwerke mit eigener Erregung. Neue Konzepte setzen auf Batteriespeicher und Wechselrichter, die wie kleine zentrale Kraftwerke arbeiten. Das betrifft Betreiber, Netzbetreiber und Politik, weil es um Planung, Kosten und neue Normen geht.

Wie Offshore‑Wind technisch Blackstarts ermöglichen kann

Blackstart bedeutet, ein totes Netz schrittweise wieder mit Spannung zu versorgen. Offshore‑Windparks liefern normalerweise wechselnden, nicht synchronisierten Strom. Damit sie beim Wiederaufbau helfen können, brauchen sie drei Elemente: Energiespeicher (meist Batterie‑Speicher), Steuerungen, die Netzspannung und -frequenz eigenständig regeln (sogenannte grid‑forming Wechselrichter) und Verfahren, um Kabel und Transformatoren schonend zu energisieren (soft‑charging).

Ein grid‑forming Wechselrichter verhält sich ähnlich zu einem konventionellen Generator: Er setzt eine Referenzspannung und Frequenz, an der sich andere Erzeuger ausrichten können. Batterieanlagen übernehmen kurzfristig die Leistungsspitzen und sichern die Stabilität, bis Windturbinen mit speziellen Steuerungen ebenfalls in einen stabilen Zustand gebracht werden. Studien zeigen, dass Kombinationen aus Batteriespeicher und angepasster Steuerung technisch in der Lage sind, einen Offshore‑Windpark so zu betreiben, dass er als Blackstart‑Quelle dient (IET, 2023). Diese Studie stammt aus dem Jahr 2023 und ist damit älter als zwei Jahre.

Entscheidend ist nicht allein die Windleistung, sondern die Fähigkeit, Spannung und Reaktivleistung kontrolliert bereitzustellen.

Zu den praktischen Schritten gehören: Batterie startet und erzeugt Spannung im Park, Kabel werden über Soft‑Charging energisiert, einzelne WTs (Windturbinen) schalten nacheinander auf grid‑forming Betriebstyp und teilen Last. Anschließend kann über die Exportleitung ein Abschnitt des Hochspannungsnetzes wieder versorgt werden, sodass Kraftwerke, Umspannwerke und weitere Anlagen synchronisiert werden können.

In einer kompakten Übersicht lässt sich die Technik mit wenigen Kennwerten vergleichen:

Merkmal Beschreibung Beispielwert
Batteriespeicher Kurzfristige Energie- und Leistungsquelle für Blackstart 10–20 % der Parkleistung (empfohlen)
Grid‑forming Wechselrichter Stellt Spannung/Frequenz und Reaktivleistung N/A (Funktional)

Praxis: Was Entwickler und Netzbetreiber planen

In der Praxis laufen Forschungsprojekte und Pilotversuche. In Großbritannien und Teilen Skandinaviens gibt es Programme, die Blackstart‑Fähigkeiten von Offshore‑Windparks untersuchen oder demonstrieren, unter anderem mit Förderungen und Testfeldern. Eine Reihe technischer Studien und Simulationen belegt die Machbarkeit; Feldversuche sind jedoch noch in Arbeit. Betreiber und Netzbetreiber koordinieren Auflagen wie Verfügbarkeit, Blocklasten und Reaktivleistung, die ein Blackstart‑fähiger Park liefern muss.

Ein Beispiel aus der Forschung zeigt, dass ein 400‑bis‑450 MW Park mit einem Batteriesystem im Bereich von einigen zehn Megawatt kurzfristig die Kabel energisieren und in der Folge einen Block von rund 30–50 MW in das Netz einspeisen kann. Das schafft ausreichend Ausgangsleistung, um ein Umspannwerk zu versorgen und weitere Kraftwerke anzubinden. Solche Simulationen beruhen auf Annahmen über Windbedingungen, weshalb Batteriespeicher als Puffer wichtig bleiben.

Wichtig sind Standards und Tests: Netzbetreiber verlangen heute Vorgaben für Verfügbarkeit und Stabilität. In Großbritannien etwa definiert der Netzbetreiber Mindestanforderungen an Leistung und Reaktivversorgung für Blackstart‑Partner (aktuelle Demonstrationsprojekte laufen). Ferner beschäftigen sich Entwickler mit Schutzkoordination: Wenn Kabel und Transformatoren energisiert werden, entstehen Einschaltströme, die begrenzt werden müssen.

Eine praktische Konsequenz ist, dass viele Konzepte auf Hybridlösungen setzen: Offshore‑Windpark plus Batterie (oft an Bord einer Plattform oder an Land) kombiniert mit gezielten Steuerungsupdates an den Turbinen. So lassen sich die technischen Risiken reduzieren, ohne auf konventionelle Kraftwerke angewiesen zu sein.

Chancen und Risiken für die Versorgungssicherheit

Die Chance ist, dass Offshore‑Windparks künftig mehr als reine Energieproduzenten sind: Als Systemdienstleister können sie Netze resilienter machen, insbesondere in Küstenregionen mit hoher Winddichte. Das reduziert langfristig die Abhängigkeit von fossilen Kraftwerken für Blackstarts und passt zur dekarbonisierten Stromversorgung.

Gleichzeitig gibt es Risiken. Wind ist variabel; daher sind Batteriespeicher praktisch zwingend, um eine zuverlässige Blackstart‑Leistung zu bieten. Das erhöht die Kosten und den Platzbedarf. Schutz‑ und Schaltkonzepte müssen neu gedacht werden, weil Wechselrichter andere Einschaltverhalten zeigen als synchrone Generatoren. Studien aus den letzten Jahren zeigen diese technischen Herausforderungen deutlich (WES, 2020). Diese Arbeit stammt aus dem Jahr 2020 und ist damit älter als zwei Jahre.

Weiterhin sind regulatorische Fragen offen: Netzcodes müssen angepasst werden, damit grid‑forming Fähigkeiten anerkannt und vergütet werden. Betreiber müssen nachweisen, dass sie im Ernstfall schnell und zuverlässig liefern können. Schließlich stellt sich die Kostenfrage: Batteriesysteme und zusätzliche Leistungselektronik erhöhen Investitionen; ein gesellschaftlicher Nutzen entsteht aber durch erhöhte Versorgungssicherheit und geringere Emissionen im Vergleich zu Diesel‑Hilfskraftwerken.

Eine breite Bewertung ergibt: technisch möglich, wirtschaftlich abhängig von Rahmenbedingungen. Laufende Projekte und neuere Studien geben Hinweise, wie groß Batteriesysteme und Steuerungsaufwände sein sollten, damit sich Blackstarts durch Windparks lohnen.

Blick nach vorn: Szenarien und mögliche Schritte

In den nächsten Jahren sind drei Entwicklungen entscheidend: technische Validierung durch Feldtests, Anpassung der Netzvorschriften und wirtschaftliche Anreize für Betreiber. Feldprojekte, die Blackstart demonstrieren, laufen aktuell in mehreren Ländern und sollen in den kommenden Jahren belastbare Erfahrungen liefern. Neue Forschung zu grid‑forming Strategien und HVDC‑Integration zeigt Wege, wie große Parks auch über Fernleitungen koordiniert werden können.

Für Netzplaner bedeutet das: Bei neuen Offshore‑Projekten sollte die Option für Blackstart von Anfang an mitgedacht werden. Das umfasst die Planung von Batteriesystemen, die Auswahl von Wechselrichtern mit grid‑forming Fähigkeiten und abgestimmte Tests mit dem lokalen Netzbetreiber. Für die Politik heißt es, Normen und Vergütungsmodelle zu schaffen, damit Investitionen in Systemdienstleistungen wirtschaftlich werden.

Für Endnutzer ist die wichtigste Folge indirekt spürbar: Erhöhte Resilienz senkt das Risiko langanhaltender Ausfälle. Kurzfristig bleibt die Kombination aus Batteriespeichern, angepasster Steuerung und klaren regulatorischen Vorgaben der plausibelste Weg, damit Offshore‑Windparks tatsächlich als Netzretter funktionieren.

Fazit

Offshore‑Wind hat das Potenzial, beim Wiederaufbau des Stromnetzes nach einem Blackout eine wichtige Rolle zu spielen. Technisch ist dies heute möglich, wenn Batteriespeicher und grid‑forming Steuerungen eingesetzt werden; wirtschaftlich und regulatorisch sind noch Hürden zu nehmen. Studien und erste Demonstrationsprojekte zeigen Lösungswege, aber belastbare Feldtests sind entscheidend, um Sicherheit, Verfügbarkeit und Kosten in der Praxis nachzuweisen. Wenn Netzbetreiber, Entwickler und Politik die nächsten Schritte koordinieren, können Offshore‑Windparks in den kommenden Jahren zu festen Partnern für die Netzstabilität werden.


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