Prüfungsformen verändern sich: Die Angst vor KI‑basiertem Schummeln treibt viele Hochschulen dazu, Prüfungen neu zu denken. Eine Online‑Prüfung bleibt praktisch, zugleich wächst das Bedürfnis nach Verlässlichkeit und Fairness. Dieser Text erklärt, welche Probleme hinter der Rückkehr zu Präsenzprüfungen stehen, welche Rolle Remote‑Proctoring und Prüfungsdesign spielen und welche pragmatischen Wege Hochschulen wählen können, um Prüfungen sicherer und gerechter zu machen.
Einleitung
Prüfungen finden seit einigen Jahren nicht mehr nur im Hörsaal statt. Viele Tests laufen online, weil das technisch möglich ist und weil Studierende und Lehrende mehr Flexibilität wünschen. Mit dem Aufkommen leistungsfähigerer Text‑ und Code‑Generatoren durch KI ist jedoch die Sorge gewachsen, dass dies die Prüfungsintegrität gefährdet. Hochschulen stehen vor einem Dilemma: Zugänglichkeit bewahren oder Prüfungs‑Verlässlichkeit erhöhen. Die Entscheidung spiegelt abwägende Kriterien wider — Bildungsziele, technische Infrastruktur, Datenschutz und Chancengerechtigkeit. Einige Institutionen reagieren mit selektiven Präsenzprüfungen; andere ändern Prüfungsformate oder setzen auf technische Kontrollen. Die folgenden Kapitel ordnen diese Entwicklungen ein und zeigen praktikable Alternativen.
Wie eine Online‑Prüfung heute funktioniert
Unter dem Begriff Online‑Prüfung verstehen viele unterschiedliche Formate: geschlossene Multiple‑Choice‑Tests, offene Essayaufgaben, Programmieraufgaben mit automatischer Bewertung oder projektbasierte Einsendungen. Technisch sind vier Komponenten typisch: die Prüfungsplattform (LMS), Prüfungsregeln (Zeitlimit, Wiederholungsversuche), Authentifizierungsverfahren (Login, Nutzerkontrolle) und optionales Remote‑Proctoring (Kamera, Bildschirmaufzeichnung).
Viele Lehrende sehen in generativer KI einen Treiber für mehr Präsenzprüfungen.
Diese Komponenten lassen sich kombinieren. Eine einfache Online‑Prüfung nutzt nur ein LMS und automatische Auswertung, während anspruchsvollere Prüfungen zusätzliche Identitätschecks, Browser‑Lockers oder Proctoring‑Tools einsetzen. Welche Kombination sinnvoll ist, hängt vom Prüfungsziel ab: Reines Faktenwissen lässt sich anderweitig prüfen als komplexe Problemlösung.
Eine knappe Übersicht in der Praxis:
| Merkmal | Typische Anwendung | Vorteil |
|---|---|---|
| MC‑Tests | Schnelle Wissensabfrage | Automatische Bewertung |
| Open‑Book Essays | Fachverständnis, Argumentation | schwerer automatisierbar durch KI |
Wichtig ist: technische Maßnahmen allein lösen das Integritätsproblem nicht. Prüfungsdesign und pädagogische Entscheidungen sind mindestens genauso entscheidend.
Warum Hochschulen wieder mehr Präsenzprüfungen planen
Berichte aus den letzten Jahren zeigen, dass Lehrende und Prüfungsämter die Bedrohung durch KI‑Hilfen ernst nehmen. Eine großangelegte Umfrage aus dem Jahr 2024 berichtet, dass viele Lehrende Fälle academic integrity betreffend wahrgenommen haben und in der Folge verstärkt Präsenzprüfungen oder hybride Lösungen planen. Die Kernargumente sind Abschreckung, bessere Identitätsprüfung und die Möglichkeit, praktische Fertigkeiten direkt zu prüfen.
Präsenzprüfungen reduzieren einige der technischen Unsicherheiten, etwa die Möglichkeit, auf generative Modelle zuzugreifen oder unkontrollierte Hilfsmittel zu verwenden. Gleichzeitig entstehen logistische und rechtliche Herausforderungen: Räume müssen bereitgestellt, Aufsichten organisiert und Barrierefreiheitsregelungen beachtet werden. Für manche Prüfungen — etwa praktische Labor‑ oder klinische Prüfungen — sind Präsenztermine ohnehin notwendig. Andere Fächer dagegen profitieren nicht automatisch von Präsenz, wenn Aufgaben weiterhin leicht automatisierbar sind.
Entscheidend ist die Risikoabschätzung: Fakultäten identifizieren Prüfungen mit hohem Missbrauchspotenzial und priorisieren dort Präsenz oder strengere Kontrollen. Für viele Prüfungen bleibt jedoch die Online‑Variante attraktiv, weil sie Skalierbarkeit und Zugang sichert. Das Ergebnis ist kein pauschaler Rückzug ins Klassenzimmer, sondern ein selektiver, kontextbezogener Einsatz von Präsenzprüfungen dort, wo sie das beste Gleichgewicht zwischen Fairness und Machbarkeit bieten.
Was Remote‑Proctoring leisten kann — und was nicht
Remote‑Proctoring umfasst unterschiedliche technische Lösungen: von einfachen Browser‑Lockern bis zu Systemen, die Kamera‑ und Bildschirmaufnahmen auswerten und Auffälligkeiten markieren. Diese Tools können helfen, offensichtliche Regelbrüche zu entdecken oder technische Belege zu liefern. Sie sind jedoch keine verlässliche Garantie gegen KI‑gestütztes Schummeln.
Forschungen aus 2022–2023 zeigen zudem klare Nebenwirkungen: viele Studierende berichten von erhöhter Belastung, Datenschutzsorgen und Problemen durch ungeeignete Testumgebungen. Studien aus 2023 melden, dass Fehlalarme, technische Störungen und das Gefühl überwacht zu werden, bei einem signifikanten Teil der Probanden Stress auslösen können. Diese Studie ist aus dem Jahr 2023 und damit älter als zwei Jahre; sie bleibt aber relevant, weil sie systematische Erfahrungen mit Proctoring dokumentiert.
Weitere Grenzen: KI‑Modelle können bei offenen Aufgaben eingesetzt werden, ohne dass ein Proctoring‑System dies zuverlässig erkennt. Gesichtserkennung und Verhaltensanalysen arbeiten nicht fehlerfrei und können vulnerable Gruppen benachteiligen. Deshalb raten Forschende und Bildungsexpertinnen dazu, Remote‑Proctoring nicht als alleinige Lösung zu sehen, sondern in Kombination mit weniger invasiven Prüfungsformaten und klaren Datenschutzregeln einzusetzen.
Gute Praxis beinhaltet technische Mindeststandards, transparente Informationen über Datennutzung, Probeprüfungen vor echten Terminen und formale Wege, Fehlalarme anzufechten. Nur so lässt sich das Vertrauen in Prüfungsprozesse erhöhen.
Praktische Wege zu faireren, KI‑sicheren Prüfungen
Es gibt mehrere nachvollziehbare Ansätze, die Hochschulen aktuell kombinieren:
1. Risk‑gestützte Präsenz: Prüfungen mit hohem Risiko für automatisiertes Schummeln werden priorisiert für Präsenz oder überwachte Test‑Hubs. Das reduziert Aufwand und erhält gleichzeitig Zugang für andere Kurse.
2. Assessment‑Redesign: Open‑Book‑Aufgaben, projektbasierte Arbeiten, mehrstufige Abgaben oder mündliche Prüfungen erschweren die Nutzung von generischen KI‑Antworten. Solche Aufgaben prüfen Verständnis und Transferleistungen, die KI leichter liefern kann als echtes, individuelles Denken.
3. Kombination technischer und organisatorischer Maßnahmen: Wenn Remote‑Proctoring eingesetzt wird, sollte es begleitet werden von Übungsdurchläufen, klaren Datenschutzrichtlinien und Ausgleichsverfahren für Studierende mit besonderen Bedürfnissen. Außerdem helfen Audit‑Logs und Plagiatsprüfungen bei der Einordnung von Auffälligkeiten.
4. Monitoring und Evaluation: Pilotprojekte mit klaren Kennzahlen (Zufriedenheit, gemeldete Vorfälle, Zugänglichkeit) erlauben eine sachliche Bewertung. So lassen sich Maßnahmen iterativ verbessern, ohne pauschale Verbote oder Überwachung einzuführen.
Diese Mischung bewahrt zwei wichtige Ziele zugleich: Prüfungsintegrität erhöhen und Chancengleichheit schützen. Dabei sind Kommunikation, Transparenz und das Einbeziehen von Studierenden zentrale Elemente für Akzeptanz und Wirksamkeit.
Fazit
Die Debatte um Online‑Prüfungen und KI ist keine einfache Wahl zwischen komplett digital und vollständig in Präsenz. Vielmehr zeigt sich ein pragmatischer, gemischter Weg: Dort, wo KI das Prüfsystem leicht unterläuft, gewinnen Präsenztermine oder veränderte Aufgabenformate an Bedeutung. Remote‑Proctoring kann Teil der Lösung sein, ersetzt aber nicht gutes Prüfungsdesign und transparente Regeln. Hochschulen, die Risikoabwägung, Barrierefreiheit und Evaluation kombinieren, erhöhen die Fairness von Prüfungen, ohne den Zugang unnötig einzuschränken.
Diskutieren Sie gern im Kommentar, wie Ihre Hochschule oder Schule mit KI in Prüfungen umgeht, und teilen Sie den Beitrag, wenn er hilfreich war.




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