Bifaciale Photovoltaik: Mehr Ertrag durch reflektierende Dächer



Auf flachen Dächern und Freiflächen kann bifaciale Photovoltaik zusätzlichen Ertrag liefern, weil Solarmodule Licht von vorne und von hinten nutzen. In vielen Studien lässt sich durch eine helle, reflektierende Unterfläche der Ertrag deutlich steigern – typischerweise um rund 5 % bis 25 %, abhängig von Montagehöhe und Albedo. Dieser Text erklärt, wie die Rückseitenbestrahlung entsteht, welche Rolle reflektierende Dachmaterialien spielen und worauf Planer und Eigentümer achten sollten, um realistische Ertragsabschätzungen zu bekommen.

Einleitung

Die meisten Photovoltaik-Module sind heute so gebaut, dass sie Licht von der Vorderseite in Strom umwandeln. Bifaciale Module haben zusätzlich eine aktive Rückseite, die diffuse und reflektierte Strahlung erfasst. Auf den ersten Blick klingt das nach einem kleinen Extra, doch in der Summe kann die Rückseitenenergie die Jahresproduktion spürbar erhöhen. Das ist für Hauseigentümer, Gewerbe und Flachdachbetreiber relevant: Mehr Ertrag bedeutet bessere Wirtschaftlichkeit und geringere Amortisationszeiten.

Die tatsächliche Mehrleistung hängt stark von der Umgebung ab. Helle Dachbeläge, reflektierende Materialien auf dem Boden und die Montagehöhe verändern, wie viel Licht die Rückseite erreicht. Der folgende Text führt Schritt für Schritt durch die physikalischen Grundlagen, praktische Beispiele, mögliche Fallstricke und Entwicklungen, die auch in einigen Jahren noch relevant bleiben werden.

Wie bifaciale Photovoltaik funktioniert

Bifaciale Photovoltaik nutzt zusätzlich zur direkten Sonneneinstrahlung die Strahlung, die von Flächen hinter dem Modul reflektiert wird. Diese Rückseitenbestrahlung entsteht aus zwei Quellen: Streulicht aus der Atmosphäre und Reflektionen von Boden- oder Dachflächen. Der Anteil der reflektierten Strahlung wird mit dem Begriff “Albedo” beschrieben. Albedo ist eine einfache Zahl zwischen 0 und 1: 0 bedeutet keine Reflexion, 1 bedeutet vollständige Reflexion.

In der Praxis beeinflussen drei Faktoren die zusätzliche Energie: die Albedo der Unterlage, der Abstand des Moduls zur Oberfläche (Montagehöhe) und der Winkel bzw. die Verschattung durch umgebende Objekte. Ein Modul über einem hellen, reflektierenden Belag kann deutlich mehr Rückseitenlicht sehen als dasselbe Modul über dunklem Gras oder Asphalt.

Albedo ist der Schalter für den Zusatznutzen: hellere Flächen liefern mehr Rückseitenenergie.

Die folgende Tabelle gibt typische Werte für Albedo und eine grobe Orientierung, welchen Effekt man erwarten kann. Konkrete Zahlen variieren in Abhängigkeit von Aufbau, Wetter und Reinigung.

Untergrund Ungefähre Albedo Typischer Zusatzgewinn (grobe Orientierung)
Gras 0,20–0,25 ~5–10 %
helle Kies- oder Schotterfläche 0,35–0,50 ~10–18 %
weiße, reflektierende Dachbeschichtung 0,65–0,80 ~15–25 %

Messungen und Modellvergleiche zeigen, dass die Modellfehler gering sein können, wenn Albedo vor Ort gemessen und Ray-Tracing-Tools eingesetzt werden. Wichtiger Hinweis: Einige der früheren Validierungsstudien stammen aus 2019 und 2018 und sind damit älter als zwei Jahre; sie bleiben nützlich für Modelle, sollten aber mit aktuellen Feldmessungen ergänzt werden.

Praxis: Planung, Montage und Beispiele

In der Planung ist das wichtigste zuerst: die Albedo vor Ort bestimmen. Das geht mit einem Pyranometer oder mit spektralen Messungen, die auch das Reflexionsverhalten in relevanten Wellenlängen abdecken. Ohne Messwerte bleiben Prognosen unsicher. Typische Planungsschritte sind: Albedo messen, Clearance (Abstand Modul–Dach) definieren, Reihenabstände und Neigungswinkel optimieren und Ertragsmodelle (z. B. mit Radiance) laufen lassen.

Ein praktisches Beispiel: Auf einem Industrieflachdach mit weißer Kunststoffdachbahn und freier Umgebung liegen gemessene Albedowerte oft bei 0,6–0,75. In solchen Fällen zeigen Feldstudien und Simulationen Mehrerträge von rund 15 % bis 22 % im Jahresenergieertrag gegenüber monofazialen Modulen. Aufgeständerte Module mit einer Höhe von 0,4–0,8 m sind in der Regel vorteilhafter als direkt aufliegende Systeme, weil sie gleichmäßigere Rückseitenbeleuchtung erlauben.

Bei kleinen Arrays oder komplexen Dachgeometrien treten Edge-Effekte und Nichtgleichmäßigkeiten auf. Das heißt: Die äußersten Modulreihen sehen oft mehr oder weniger Rückseitenlicht als die inneren Reihen. Für Banken und Investoren sind nachvollziehbare Simulationsannahmen und Feldvalidierung wichtig, damit Ertragsprognosen bankfähig werden.

Ein weiteres praktisches Thema ist die Alterung von reflektierenden Belägen. Eine frisch aufgetragene weiße Beschichtung liefert einen hohen Albedowert; nach einigen Jahren reduziert Schmutz und UV-Belastung die Reflexion und damit den Zusatzgewinn. Regelmäßige Reinigung oder langlebige Materialwahl sind deshalb Teil der Wirtschaftlichkeitsrechnung.

Chancen und Risiken

Bifaciale Systeme bieten mehrere Chancen: mehr Jahresertrag pro installiertem Kilo-Watt-Peak, bessere Flächenausnutzung und in manchen Fällen eine bessere Rendite. Speziell auf Flachdächern kann der zusätzliche Ertrag die Entscheidung für teurere, aber effizientere Module wirtschaftlich tragen.

Gleichzeitig gibt es Risiken und Grenzen. Modellannahmen können zu optimistisch sein, wenn sie von dauerhaft hohen Albedowerte ausgehen. Reale Effekte wie Verschmutzung, Schnee, temporäre Verschattung durch Aufbauten oder veränderte Nachbarschaftsreflektionen sind oft schwer exakt einzukalkulieren. Bei geringen Montagehöhen ist der zusätzliche Ertrag erheblich kleiner, sodass die Mehrkosten für bifaciale Module unter Umständen nicht kompensiert werden.

Ein konkretes Risiko betrifft die Mess- und Modellunsicherheit: Unterschiedliche Simulationsmethoden (View-Factor vs. Ray-Tracing) liefern leicht abweichende Prognosen. Die Mehrzahl aktueller Studien empfiehlt Ray-Tracing-Ansätze für komplexe Dachsituationen. Zudem sollten Betreiber Alterungseffekte von Beschichtungen in ihre Planung einbeziehen, weil ein fallender Albedo-Wert den Ertrag über Jahre mindert.

Ausblick: Was wird sich ändern?

Die Technik und die Modellierung von bifacialen Anlagen reifen weiter. Verbesserte Zelltypen mit höherem Bifacialitätsfaktor, bessere Ray-Tracing-Tools und standardisierte Testverfahren machen Ertragsprognosen zuverlässiger. Zugleich wächst das Interesse an Materialinnovationen: langlebige, stark reflektierende Dachbeläge und Beschichtungen, die auch nach Jahren noch hohe Albedo liefern, könnten den Zusatznutzen sichern.

Regulatorische und marktseitige Entwicklungen werden ebenfalls eine Rolle spielen. Wenn Förderprogramme oder Gebäudestandards reflexionsfreundliche Dachlösungen honorieren, steigt der Anreiz für Eigentümer, in hochwertige Beschichtungen oder aufgeständerte Systeme zu investieren. Für Betreiber lohnt es sich, Angebote mit validierten Messprotokollen und konservativen Ertragsannahmen einzufordern, damit Banken und Investoren leichter zustimmen.

Für Privatleute und kleine Gewerbe bedeutet das konkret: Bei einer Neuinstallation lohnt eine Messung der Dachreflexion und ein Vergleich von Angeboten mit und ohne bifaciale Module. Bei bestehenden Anlagen kann eine Nachrüstung mit reflektierenden Belägen oder eine geringe Aufständerung geprüft werden – in vielen Fällen verbessern diese Maßnahmen die Rendite.

Fazit

Bifaciale Photovoltaik ist kein pauschales Versprechen auf höhere Erträge, aber unter den richtigen Bedingungen ein verlässlicher Hebel für mehr Jahresenergie. Entscheidend sind messbare Grundstücks- oder Dachalbedo, angemessene Montagehöhe und realistische Simulationen. Auf Flachdächern mit hellen, langlebigen Belägen lässt sich häufig ein deutlicher Mehrertrag erzielen; bei niedrigen Höhen oder dunklen Unterlagen ist der Vorteil kleiner. Wer auf der sicheren Seite planen will, kombiniert Albedomessungen, Ray-Tracing-Simulationen und Feldvalidierung und berücksichtigt Alterungseffekte von Dachmaterialien.


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Artisan Baumeister

Mentor, Creator und Blogger aus Leidenschaft.

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