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Bifacial-PV auf dem Dach: Bis zu 9% mehr Ertrag in nordeuropäischen Lagen



Bifacial photovoltaik kann auf Hausdächern in nordeuropäischen Lagen spürbar mehr Strom liefern: unter praxisnahen Bedingungen sind realistische Zugewinne im Bereich von wenigen bis rund 9 % möglich, abhängig von Dachneigung, Abstand zu reflektierenden Flächen und Schnee. Der Text erläutert, wie bifaciale Module funktionieren, warum der Hintereinfall bei niedriger Einstrahlung wichtig wird, welche praktischen Faktoren Ertrag und Lebensdauer beeinflussen und wann sich ein Umstieg rechnet. Die Analyse stützt sich auf Fraunhofer ISE, eine DTU-Feldstudie und IEA-PVPS-Bewertungen.

Einleitung

Der Gedanke ist einfach: Module, die Licht von beiden Seiten nutzen, sollten auf einem Dach mehr Strom erzeugen als herkömmliche einseitige Module. In nördlichen Breiten, wo die direkte Sonneneinstrahlung im Jahresmittel geringer ist, wird der Anteil des diffusen Lichts und der Reflexion vom Umfeld wichtiger. Das macht bifaciale Technik potenziell attraktiv — aber nur unter bestimmten Bedingungen.

Manche Dächer haben helle Beläge oder reflektierende Flächen in ihrer Nähe; im Winter kann Schnee tagsüber zusätzliche Rückstrahlung liefern. Andererseits verändern höhere Ströme, Feuchtigkeitsbelastungen und neue Fehlermechanismen die Betriebsbedingungen. Für Hauseigentümerinnen und -eigentümer heißt das: Es genügt nicht, Module einfach auszutauschen. Planung, Simulation und Materialwahl entscheiden über den tatsächlichen Mehrertrag und darüber, ob die Investition langfristig trägt.

Was ist bifacial photovoltaik?

Bifaciale Solarmodule erzeugen Strom auf Vorder- und Rückseite. Die Rückseite nimmt Licht auf, das vom Boden oder benachbarten Flächen reflektiert wird. Ein wichtiges Kennzeichen ist der Bifaciality-Faktor: er beschreibt, wie effizient die Rückseite im Verhältnis zur Vorderseite arbeitet. Werte liegen typischerweise zwischen etwa 60 % und 95 % — abhängig vom Zelltyp und Aufbau.

Wichtig ist auch: Nicht jedes reflektierte Photon wird gleich wirksam. Die Geometrie der Montage, der Neigungswinkel und die spektrale Zusammensetzung des reflektierten Lichts beeinflussen die Leistung. Deshalb nutzen Fachleute für genaue Vorhersagen Ray‑Tracing‑Modelle; vereinfachte Verfahren unterschätzen den Ertrag bisweilen deutlich (Fraunhofer ISE).

Bifaciale Module bieten zusätzliche Erträge, die stark vom Standort, der Albedo und dem Systemdesign abhängen.

Eine einprägsame Faustregel: Bei typischen Dachböden (Albedo etwa 0.15–0.30) sind auf Hausdächern moderate Zugewinne wahrscheinlich. Bei hellen Flächen oder Schnee steigt das Potenzial deutlich an. Die IEA‑PVPS-Analyse (2021) zeigt, dass Modellfehler und kleine Testanlagen oft zu Überschätzungen führen; die IEA‑Publikation ist älter als zwei Jahre, bleibt aber für grundlegende Mechanik und Standardfragen relevant.

Wenn Zahlen den Vergleich erleichtern, hilft die folgende kurze Übersicht:

Merkmal Typische Wirkung Wert (orient.)
Bifacial Gain auf Wohn­dächern Zusätzlicher Jahresertrag gegenüber monofacial ca. 3–9 %
Albedo (Rückstrahlungsanteil) Gras vs. heller Belag vs. Schnee 0.15 / 0.30 / 0.55+

Diese Werte sind gerundet und dienen zur Einordnung; sie beruhen auf publizierten Simulationen und Messreihen von Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer ISE und Feldstudien in Nordeuropa (DTU).

Praxis: Wie wirken sich Montage und Umgebung aus?

Der größte Unterschied zwischen versprochenem und tatsächlich erreichtem Mehrertrag entsteht in der Installation. Einige Faktoren, die den Rückseitengewinn beeinflussen:

  • Albedo der Umgebung: Ein weißer Schotter, eine helle Dachfläche oder Schnee reflektieren mehr Licht als dunkles Schieferdach.
  • Höhe und Abstand: Höher montierte Module erhalten oft mehr rückwärtige Einstrahlung, benötigen aber andere Statik und Befestigung.
  • Bauart des Moduls: Glas‑Glas-Module sind mechanisch robuster und haben andere Feuchteeigenschaften als Glas‑Folien‑Module; die Bifaciality variiert mit Zelltyp.
  • Verschattung und Nachbarschaft: Bäume, Schornsteine und benachbarte Gebäude reduzieren diffuse und reflektierte Strahlung.

Ein konkretes Beispiel: Auf einem leicht geneigten Einfamilienhausdach mit hellem Kies (Albedo ~0.30) kann ein bifaciales Modul gegenüber einem monofacialen Exemplar mehrere Prozent Mehrertrag über das Jahr bringen. Liegt das Dach hingegen dicht an dunklen Nachbarflächen oder ist stark verschattet, schrumpft der Vorteil und kann gegen Null gehen.

Planerinnen und Planer empfehlen deshalb site‑spezifische Simulationen. Fraunhofer ISE betont, dass Ray‑Tracing‑Modelle die lokale Geometrie und reflexionsspezifische Effekte besser erfassen als einfache Näherungen. Für Hauseigentümerinnen bedeutet das: Ein Angebot mit pauschaler Prozentangabe ist wenig belastbar; eine standortbezogene Abschätzung ist wertvoller.

Bei der elektrischen Auslegung sind ebenfalls Anpassungen nötig: Bifaciale Systeme können höhere Ströme erzeugen; Kabel, Stringauslegung und Sicherungen sollten darauf ausgelegt sein. Zudem zeigt die DTU‑Feldstudie, dass gewisse Fehlerarten wie PID oder UV‑induzierte Imprints auftreten können — Qualität der Module und geeignete Materialwahl sind daher entscheidend.

Chancen und Risiken für Hausdächer in Nordeuropa

Chancen: In Regionen mit häufiger diffusen Einstrahlung und Schneefall kann die Rückseitenleistung einen nennenswerten Beitrag liefern. Bei optimierter Montage und hellem Umfeld sind jährliche Mehrerträge von mehreren Prozent bis in den hohen einstelligen Bereich plausibel. Für größere Dachanlagen oder Mehrfamilienhäuser steigt der absolute Gewinn, weil Edge‑Effekte weniger ins Gewicht fallen als bei Mini‑Testaufbauten.

Risiken: Feldmessungen aus Nordeuropa (DTU) zeigen, dass bifaciale Module anfälliger für bestimmte Degradationsmechanismen sein können, etwa potenzialinduzierte Degradation (PID) oder UV‑induzierte Perimeter‑Effekte. Manche Probleme treten vor allem bei günstigerer Fertigungsqualität oder frameless Designs auf. Entsprechende Garantiekonditionen und geprüfte Produktauswahl sind deshalb wichtig.

Ein weiterer Punkt ist der Wartungsaufwand: Rückseiten montierter Module erfordern bei komplexeren Dachdächern Zugriff für Reinigung und Inspektion. Auch das Brand‑ und Versicherungsthema spielt eine Rolle, weil höhere Ströme und veränderte elektrische Parameter die Systemauslegung beeinflussen.

Grob gerechnet kann ein durchschnittliches Einfamilienhaus in Deutschland oder Dänemark bei guter Auslegung die im Titel genannte Größenordnung von bis zu 9 % zusätzlichen Jahresertrag erreichen; in vielen realen Fällen fällt der Zuwachs jedoch niedriger aus. Das heißt: Bifacial lohnt sich dort, wo die Standortbedingungen (Albedo, geringe Verschattung, robuste Montage) passen und die Module von hoher Qualität sind.

Blick nach vorn: Was zu beachten ist

Für alle, die über einen Umstieg nachdenken, sind drei Schritte sinnvoll: erstens eine fundierte Standortanalyse inklusive Albedo‑Messung oder plausibler Schätzung; zweitens die Auswahl getesteter Module mit klarer Dokumentation zu Bifaciality‑Faktor und bisherigen Felddaten; drittens eine elektrotechnische Planung, die höhere Ströme und mögliche Mismatch‑Effekte berücksichtigt.

Technologisch ist zu erwarten, dass Module mit höherer Bifaciality und verbesserter Alterungsbeständigkeit weiter verbreitet werden. Forschungsberichte und Feldtests (Fraunhofer ISE, DTU, IEA‑PVPS) raten zu Kombinationen aus Glas‑Glas‑Designs, POE‑Encapsulants und Serienfertigung zur Minimierung von PID/UVID‑Risiken.

Regulatorisch und wirtschaftlich sind weitere Entwicklungen möglich: Wenn Netzentgelte, Einspeisevergütungen oder Eigenverbrauchsregeln angepasst werden, verändert das die Wirtschaftlichkeitsrechnung. Auf der praktischen Ebene bleibt die Kernfrage dieselbe wie heute: Lohnt sich der Mehraufwand in Montage und Planung bezogen auf den erwarteten Mehrertrag und die Lebenszykluskosten?

Kurzfristig reduziert eine sorgfältige Simulation Fehlinvestitionen. Mittelfristig könnten standardisierte Prüfungen und klarere Garantien den Markt konsolidieren und die Unsicherheiten senken. Wer jetzt prüft, gewinnt Erkenntnisse über Dachgeometrie, Albedo‑Potenzial und Einsparung durch Eigenverbrauch.

Fazit

Bifaciale Photovoltaik kann auf Dächern in nordeuropäischen Lagen einen messbaren Mehrertrag bringen. Der Vorteil ist jedoch stark standortabhängig: Helle Umgebungen, Schnee und erhöhte Montage verbessern die Rückseitenausbeute; Schatten, dunkle Beläge und minderwertige Module reduzieren sie. Forschungsergebnisse von Fraunhofer ISE, der DTU‑Feldstudie und IEA‑PVPS zeigen, dass realistische Zugewinne auf Einfamilienhäusern oft im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegen und in guten Fällen bis rund 9 % erreichen können. Entscheidend sind präzise Simulation, hochwertige Module und eine elektrische Auslegung, die erhöhte Ströme berücksichtigt. Wer diese Bedingungen erfüllt, kann mit bifacialen Modulen einen zusätzlichen Beitrag zur Eigenstromproduktion erzielen.


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