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Autonomes Fahren in Serie: Warum Sicherheitstests den Start oft verzögern

Autonomes Fahren steckt heute in einer offensichtlichen Phase: die Technik funktioniert in vielen klaren Situationen, doch die Serie verzögert sich. Dieser Text erklärt, warum umfangreiche Sicherheitstests für Software, Sensorik und die Regeln im Straßenverkehr oft mehr Zeit brauchen als Hardware-Iterationen. Leserinnen und Leser erhalten eine klare Einordnung, wie Tests in der Simulation, auf Versuchsstrecken und im realen Verkehr zusammenspielen, welche Messgrößen zählen und welche regulatorischen Hürden Hersteller und Zulassungsstellen ausbremsen.

Einleitung

Viele Fahrerinnen und Fahrer kennen Assistenzfunktionen wie Spurhalteassistent und Tempomat; der nächste Schritt sind Systeme, die in definierten Situationen ganz selbstständig übernehmen. In der Diskussion darum steht weniger die Frage, ob die Technik grundsätzlich möglich ist, sondern wie sicher sie in der Breite funktioniert. Hersteller fahren lange Testprogramme mit Simulationen, Prüfständen und realen Einsätzen — und genau diese Prüfungen bremsen die Serienfreigabe oft aus. Das betrifft nicht nur Softwarefehler: Sensorleistung bei Regen, Schnittstellen zwischen Kameras, Radar und LiDAR, sowie die Art, wie ein System ungewöhnliche Situationen bewertet, entscheiden darüber, ob ein Fahrzeug für den Alltag freigegeben wird. Die folgenden Abschnitte beschreiben Schritt für Schritt, welche Prüfarten existieren, wie sie zusammenwirken und welche strukturellen Gründe hinter den Verzögerungen stehen.

Wie werden Sicherheitstests für autonomes Fahren durchgeführt?

Sicherheitstests beginnen meist in der digitalen Welt: Entwickler erzeugen Millionen virtueller Kilometer in Simulationen, in denen Fahrzeuge verschiedenste Verkehrssituationen durchspielen. Simulationen erlauben das gezielte Erzeugen seltener, aber kritischer Situationen, etwa plötzlich auftauchende Fußgänger oder ausgefallene Sensoren. Ergänzt werden sie durch Hardware-in-the-Loop‑Tests, bei denen reale Sensor- oder Steuergeräte in einer kontrollierten Umgebung arbeiten. Diese Tests prüfen, wie Software und Hardware gemeinsam auf unerwartete Signale reagieren.

Komplexe Fahrsituationen lassen sich allein mit realen Testkilometern nicht effizient abdecken; Simulationen liefern die Vielfalt, reale Tests die Glaubwürdigkeit.

Auf Teststrecken folgen strukturierte Versuche: Spurwechsel in definierter Umgebung, Notbrems-Szenarien oder Interaktion mit Fußgängern und Radfahrern unter kontrollierten Bedingungen. Schließlich gibt es den Schritt auf öffentliche Straßen — meist begrenzt auf bestimmte Städte oder ODDs (Operational Design Domains), also definierte Einsatzbedingungen wie Tempo, Straßenart und Wetter.

Messgrößen, die zählen, sind etwa: Unfälle pro einer Million Meilen (oder Kilometer), Abbruchraten der autonomen Fahrt, Near‑Miss‑Zählungen und die Häufigkeit, mit der ein System den Fahrer zurückfordern muss. Offizielle Berichte wie Hersteller‑Safety‑Reports oder NHTSA‑Meldungen liefern Vergleichswerte, bleiben aber in der Interpretation anspruchsvoll, weil die Testumfelder stark variieren.

Einteilung von Tests in Kurzformat:

Merkmal Beschreibung Wert
Simulation Virtuelle Kilometer, Szenarienvielfalt Millionen von Meilen
Track-Tests Realisierte kritische Manöver, HIL-Integration Gezielte Szenarien

Wie laufen Tests im Alltag und in der Praxis ab?

Im Feldbetrieb sammeln Testflotten Erfahrung auf echten Straßen. Firmen wie Waymo veröffentlichen Berichte, in denen sie Messwerte aus städtischen Einsätzen aufführen; solche Zahlen helfen, reale Leistung einzuschätzen. Allerdings basieren viele Vergleiche auf unterschiedlichen Umgebungen und Messmethoden: eine Stadt mit breiten Boulevards und dünnem Fußgängeraufkommen liefert andere Ergebnisse als eine dicht belebte Innenstadt. Deshalb kombinieren Hersteller Feldtests mit Simulationen, um seltene, aber gefährliche Ereignisse gezielt zu prüfen.

Ein praktisches Beispiel: Ein Fahrzeug hat Schwierigkeiten mit schlecht markierten Baustellen bei Regen. Im Labor lassen sich solche Szenarien beliebig oft wiederholen, in der Stadt aber dauern die passenden Situationen Monate. Deshalb messen Teams, wie oft das System die Kontrolle an den Menschen zurückgibt, wie häufig es stark abbremst oder ob Sensorfusion (also das Kombinieren von Kamera‑, Radar‑ und LiDAR‑Daten) zuverlässige Objekte erkennt. Offizielle Meldesysteme wie der NHTSA Standing General Order sammeln Vorfälle und machen Trends sichtbar, die Behörden und Hersteller zur Verbesserung nutzen.

Ein weiterer Aspekt ist die human‑machine‑interface (HMI): Tests prüfen, ob ein Fahrer verständliche Signale bekommt, wann er eingreifen muss. Fehler in der Kommunikation sind eine häufige Ursache für Rückrufe und Verzögerungen. Daher gehören Nutzertests und Beobachtungen im realen Verkehr zu den Pflichten vor einer Serienfreigabe.

Warum verzögern Tests die Serienproduktion?

Es gibt mehrere, sich überlagernde Gründe. Erstens: Die Anforderung, seltene, aber gefährliche Ereignisse sicher zu beherrschen. Ein System kann im Durchschnitt sehr gut funktionieren, scheitert aber in ungewöhnlichen Grenzfällen. Diese Szenarien treten in der realen Welt extrem selten auf; um sie statistisch zuverlässig zu testen, wären Milliarden von Kilometern nötig — wirtschaftlich und zeitlich kaum machbar. Deshalb setzen Entwickler auf Scenario‑based Testing, doch das erzeugt Debatten über Vollständigkeit und Repräsentativität.

Zweitens: Sensorik und Umwelteinflüsse. Kameras liefern bei Gegenlicht und Regen oft andere Daten als Radar oder LiDAR. Die Fusion dieser Signale verlangt komplexe Kalibrierung. Änderungen an einem Sensor‑Modul können das Verhalten des gesamten Systems verändern, sodass nach jeder Hardware‑Änderung erneute Tests fällig werden.

Drittens: Regulatorische Unsicherheit und Zulassungsvorgaben. Internationale Regelwerke wie die UNECE‑Regelungen (z. B. R157 für bestimmte autonome Fahrfunktionen) schaffen zwar einen Rahmen, werden aber schrittweise umgesetzt. In Europa arbeitet etwa Euro NCAP an neuen Prüfprotokollen für automatisiertes Fahren, die Hersteller anstelle einer nationalen Zulassung für Marktakzeptanz berücksichtigen müssen. Unterschiedliche Anforderungen in verschiedenen Ländern führen zu Verzögerungen bei der Markteinführung, weil Hersteller oft mehrere Varianten prüfen und zertifizieren müssen.

Viertens: Haftung und Versicherungsfragen. Solange keine klare, europaweit einheitliche Haftungsregel existiert, überdenken Hersteller die Markteinführung vorsichtiger. Versicherer und Zulassungsbehörden fordern transparente Testdaten und nachvollziehbare Metriken, was zusätzliche Prüfberichte und Audits erfordert.

Wohin führen diese Prüfungen — ein Blick nach vorn

In den kommenden Jahren entsteht ein mehrschichtiges Prüfökosystem: unabhängige Ratings, regulatorische Typ‑Approvals und offene Crash‑Meldesysteme ergänzen Herstellerberichte. Euro NCAP hat 2024 ein Guidance‑Dokument für automatisiertes Fahren vorgelegt, das Testszenarien und Bewertungsmetriken definiert. Solche externen Bewertungen schaffen Vergleichbarkeit und erhöhen die Akzeptanz bei Nutzerinnen und Nutzern.

Regulatorisch wird die Schärfung von ODD‑Definitionen (für welche Straßen, Geschwindigkeiten und Wetterlagen ein System zugelassen ist) eine wichtige Rolle spielen. Typgenehmigungen nach UNECE‑Standards bieten Herstellern eine technische Grundlage, gleichzeitig bleiben nationale Umsetzungen relevant. Zudem treiben verbesserte Simulationsstandards und sogenanntes Scenario‑Library‑Sharing die Effizienz: Wenn Hersteller und Prüfer standardisierte Szenarien nutzen, werden Tests vergleichbarer.

Für Konsumentinnen und Konsumenten bedeutet das einen schrittweisen Übergang: Zunächst mehr Abdeckung in klar definierten Umgebungen — etwa auf Autobahnen oder in begrenzten Stadtgebieten —, später breitere Freigaben, wenn Tests und regulatorische Prozesse harmonisiert sind. Langfristig dürfte die Kombination aus Felddaten, standardisierten Laborprüfungen und unabhängigen Ratings den größten Einfluss auf eine verantwortbare Serienfreigabe haben.

Fazit

Die Herausforderung beim Start autonomer Fahrzeuge in Serie liegt weniger in einzelnen technischen Komponenten als im Nachweis ihrer sicheren Zusammenarbeit in sehr vielen und sehr unterschiedlichen Situationen. Tests in Simulation, auf Prüfstrecken und im realen Verkehr ergänzen sich und zeigen, dass verlässliche Freigaben Zeit brauchen. Regulatorische Vorgaben, unabhängige Bewertungen und transparente Meldesysteme schaffen Vertrauen, verlangen aber zusätzliche Prüfungen. Für Anwenderinnen und Anwender heißt das: Autonome Funktionen kommen sukzessive, zuerst in klar abgegrenzten Einsätzen; die breitere Serienproduktion wird durch Sicherheits‑ und Zulassungsfragen bestimmt, nicht allein durch die Reife der Software.

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